Kapitel 2: Das Fellnashorn

Wo hat das Fellnashorn (Coelodonta antiquitatis) in Eurasien zusammen mit dem Mammut gelebt? Wie weit im Norden hat man seine Überreste in Sibirien gefunden? In was für einem Klima und auf was für einer Pflanzendecke hat es dort gegrast? War das Fellnashorn arktischem Klima angepasst? Was haben Wissenschaftler darüber herausgefunden?

Professor N. K. Vereschchagin und G. F. Barischnikov (1982:271) sagen über das Fellnashorn (Coelodonta antiquitatis): „Knochenteile, hauptsächlich von Schädelfragmenten des Fellnashorns, sind von all den Landschaftszonen des nördlichen Eurasien bekannt, außer in der Wüste. Das Aussehen und die Körpermaße des Fellnashorns waren denen des afrikanischen Weißen Nashorn (Diceros simus Burchell, 1817) ähnlich. Aber es unterschied sich natürlich darin, dass es ein Fell hatte. Es hatte kurze Beine und sehr lange Hörner, besonders das Weibchen. Das vordere Horn erreichte eine Länge von 135 cm, und das hintere, 50 cm. Das wollige Fell war weich und dicht, düster-gelb und rötlich-braun und auf dem Rumpf 10 oder 15 cm lang. Die Ohren waren ungefähr drei Viertel so groß wie die der lebenden Arten. Die Hufe hatten eine kleine Auftrittsfläche. Sie müssen hartem, festem Boden angepasst gewesen sein.

„Gepresste holzige Reste von großblättrigen Arten, wie Weide und Erle und auch mineralische Teilchen, hat man in den tiefen Löchern der oberen Zähne des Fellnashornes gefunden. Klumpen von Kot hat man im Gebiet des großen Darmes innerhalb des Skelettes eines Nashornes bei der Churapcha Siedlung in Mittel-Jakutien gefunden. Sie enthielten die Keime von Gräsern, Baumwollgras und Seggen (Lazarev, 1977b). Pollen, die man in diesem Kot fand, bestanden aus Gramineae (89%), Compositae (4,5%), und Artemisia (2,5%). Was es im Winter fraß, das weiß man nicht. Aber es ist ganz klar, dass das Fellnashorn hauptsächlich gegrast hat. ... Das Fellnashorn bewohnte wahrscheinlich offene Gebiete in der kalten und schneelosen Steppentundra. In Tälern und Fluss-Überschwemmungsgebieten blieb es wahrscheinlich in den Strauchdickichten.“ - Vereschchagin, N. K. et al. (1982:271).

Das Fellnashorn von Churapcha in Zentral-Jakutien hatte eine Schulterhöhe von etwa 160 cm. Während der Mammut-Ausstellung in Darmstadt, in Westdeutschland, konnte ich es selbst messen. Das war Ende November 1994. Die meisten erwachsenen Fellnashörner, deren Reste man bis jetzt geborgen hat, haben eine Schulterhöhe von etwa 160 cm. Das Nashorn, mit einer Schulterhöhe von 1,6 m, wiegt jetzt 1.100 bis 1.500 kg.

Das Schwarze Nashorn (Diceros bicornis) hat in Tsavo Ost National Park, in Kenia, Ostafrika, gelebt, und zwar während der großen Trockenheit von 1970-71. Es ist dort ebenso schnell verhungert, wie der Afrikanische Elefant. Mehrere Hundert von ihnen verhungerten dort mit vollem Magen, als nur etwa 200 Gramm oberirdische Trockenmasse je Quadratmeter im Jahr gewachsen ist. Das trockene Futter in ihrem Magen enthielt damals nur 2,0% Rohprotein (Trockengewicht) oder mehr. Das ist das Protein (Eiweiß) im Futter. Nur einen Teil davon kann das Tier verdauen.

Ralf-Dietrich Kahlke (1994:34) sagt über das Fellnashorn (Coelodonta antiquitatis): „Zur Zeit des letzten Glazialkomplexes war Coelodonta nahezu über das gesamte nördliche und mittlere Eurasien verbreitet. Funde wurden aus Spanien und dem Pyrenäenraum, aus Frankreich, England, Belgien, Dänemark, den Niederlanden und der südlichen Nordsee, sowie aus Italien, Jugoslawien und Griechenland bekannt. Über Mittel- und Osteuropa setzte sich der Lebensraum bis zum Kaukasus und nach N- bis NE-Kasachstan sowie unter Umgehung von Wüstengebieten sogar bis nach Kirgisien fort.

Coelodonta lebte im europäischen Teil der Russischen Federation, im Ural und W-Sibirien, im Baikal-Gebiet, und der nördlichen Äußeren Mongolei bis zum fernöstlichen Primorski Krai. Im Süden wurden Korea sowie die nördlichen und nordwestlichen Provinzen Chinas besiedelt. Die N-Expansion der Gattung erreichte Jakutien und die Neusibirischen Inseln. Offenbar wurde jedoch der äußerste NE der eurasischen Landmasse von Coelodonta gemieden, so dass ein Überwechseln nach Alaska nicht erfolgte.

„Im letzten Glazial waren die progressivsten und robustesten Entwicklungsstadien des Fellnashorns in einem breiten Gürtel von Spanien bis nach NE-Siberien verbreitet. Die Vorstellung, dass C. antiquitatis ein steter Begleiter von Mammuthus primigenius war und somit ähnliche Umweltansprüche wie dieser hatte, trifft in weiten Teilen Eurasiens zu. Unterschiede ergeben sich vor allem nördlich des 70. Breitengrades. Während Mammutfunde hier keineswegs zu den Seltenheiten zählen, sind Nachweise von Coelodonta spärlicher oder fehlen.

„Nördlich des 45. Breitengrades liegen nach Kenntnis des Verfassers keinerlei gesicherte Coelodonta-Funde in Pazifiknähe vor. Ihr Vorkommen wurde hier in wohl ähnlicher Weise wie bei Panthera leo spelaea durch eine auf ozeanische Klimaeinflüsse zurückzuführende, mehr oder weniger kontinuierliche Bewaldung verhindert. Diese entsprach dem Nahrungsspektrum nicht. Die südliche Begrenzung der letztglazialen Lebensräume des Fellnashorns in Asien deckt sich im wesentlichen mit der der Mammutareale. Auch Coelodonta vermochte nicht in extreme Trockenzonen vorzudringen. Östlich des Balchasch-Sees und über das Ostchinesische Lößplateau konnte sie diese allerdings umgehen. In E-China waren Coelodonta-Populationen bis 32 N und somit ca. 650 km weiter nach S vorgedrungen, als die Mammute.

„In den rund 170 von GUÉRIN (1980, S. 1005) aus W-Europa zusammengestellten Fossilvorkommen mit C. antiquitatis wurde das Nashorn in ca. 65% der Fälle gemeinsam mit Rangifer gefunden. Seltener war es mit anspruchsvolleren Arten, wie dem Wildschwein (31 %) oder gar dem Flusspferd (ca. 5,9 %) assoziiert. Das Fellnashorn war also auch in den westlichsten Verbreitungsräumen vorwiegend ein Tier der offenen Steppentundra.“ - Kahlke, R.-D. (1994:78).

 

Ganzes gefrorenes Fellnashorn.

Auch ganze gefrorene Körper des Fellnashorns hat man in Nordsibirien gefunden. Der baltisch-deutsche Baron Erich von Toll berichtet über einen Fund am Fluss Khalbui. Es war ein Fellnashorn, kein Mercksches Nashorn: „Die Stelle, wo der Körper des Nashornes Merkii Jaeg. im Jahr 1877 gefunden wurde, liegt am linken Ufer des Khalbui, einem rechten Nebenfluss des Bytantai. Es liegt ungefähr 15 Werst (16,0 km) über der Stelle, wo er in den Bytantai fließt. Der geographische Ort sollte bei 68,2°N liegen.

„Ich hatte das Glück, dass mich ein Augenzeuge zu der Stelle führte, wo man das Nashorn entdeckt hatte. Es war der Sohn des Entdeckers des Nashornkadavers, der Jakute Pawel Affanasiewich Gorokhov. Er hat selbst das ganze Nashorn in der gleichen Position sehen, wie sein Vater es dort liegen gesehen hatte. Und er hat seinem Vater dabei geholfen, den Kopf und einen Fuß abzuhacken. Der Geschäftsmann N. Gorokhov hat sie der Wissenschaft erhalten. Den Rumpf des Kadavers ließen die Leute dort liegen. Und ein Jahr später, im Frühjahr, trugen die Fluten es weg. Nachdem Gorokhov mir das erzählt hatte, verstand ich, wie der Kadaver dort gelegen hat. Am Steilufer des Flusses zeigte er mir genau die Höhe an, auf der das Tier gelegen hatte. Nämlich ‚auf seinem Bauch, mit seinem Kinn auf dem Rand des Flussbetts. Der Rest des Körpers saß noch im Steilufer.‘ ‚Der Kadaver selbst‘, sagte der Augenzeuge, ‚war vollkommen mit feinem Sand gedeckt.‘“ - Toll, E.(1895:36).

Fellnashorn am Wiljuj Fluss

Sir Henry H. Howorth hat das Fellnashorn, das man am Wiljuj Fluss in NE-Sibirien gefunden hat, schon erwähnt. Was sagt Professor J. F. Brandt selbst darüber? – Professor J. F. Brandt, Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg, berichtet über das, was er herausfand, als er das Fellnashorn vom Wiljuj Fluss untersuchte:

„Ich untersuchte den Kopf des Rhinoceros tich. vom Wiljuj gründlich. Dabei bemerkte ich, dass die Blutgefäße, die ich aus seinem Kopf entfernt hatte, bis zu den Kapillargefäßen mit einer braunen Masse gefüllt waren (mit geronnenem Blut). An einigen Stellen hatte sie noch die rote Farbe des Blutes. Als ich sah, dass die Blutgefäße des Kopfes so sehr mit den Überresten kleiner Blutbälle gefüllt waren, war ich unfähig, den Gedanken zu unterdrücken: Dieses Individuum, zu dem sie gehörten, ist wahrscheinlich durch Erstickung gestorben, als es ertrank.

„Helmersen und ich selbst sahen auf den Überresten des Wiljuj Nashornes zwei Sorten von Erde. Die eine, häufigste Erdsorte besteht aus mikroskopischen Quarzteilchen. Sie ist eingebettet in feinen, lehmigen Schlamm, mit einigen Teilchen von Glimmer. ...

„Die zweite Erdsorte fanden wir auf dem Kopf nur an einigen Stellen. Es hatte eine graublaue Farbe und zerfällt leicht in ein Pulver. Es ist, wie ich annehme, blaue Eisenerde (Eisen blau) [Vivianit]. Helmersen nahm einiges davon und streute es in glühende Kohlen. Erst nahm es eine rot-braune Farbe an. Und dann schmolz es in kleine graue Kugeln. Als wir es auf eine ähnliche Weise mit Natrium behandelten, erschienen kleine Kugeln magnetischen Eisens. ... Die Erde, die auf den Überresten des Nashorns saß, muss im Süßwasser abgesetzt worden sein. Sie bedeckte den Körper der Tiere, als sie im Schlamm versanken.“ - Brandt, J. F. (1846:223, 224).

 

Spätpleistozänes Fellnashorn (Coelodonta antiquitatis) auf der Mammut-Steppe Mitteleuropas. Nach: H.-D. Kahlke (1956) Es hatte eine Schulterhöhe von etwa 1.6 m und wog 1100 bis 1500 kg.

 

Das Weiße Nashorn

Das Fellnashorn ist ähnlich gebaut und lebt etwa so wie das heutige afrikanische Weiße Nashorn (Dicerus simus). Beide sind hauptsächlich Grasfresser. Beide haben die quadratische Oberlippe des Grasfressers. Die Nahrungsbedürfnisse des Elefanten und des Weißen Nashorns sind sehr ähnlich. Die ökologischen Anforderungen und der Futterbedarf des Mammuts und Fellnashorns waren auch sehr ähnlich. Daraus schließe ich, dass die Nahrungsbedürfnisse des Fellnashorns denen des lebenden Weißen Nashorn sehr ähnelten.

Wo in Afrika lebt das Weiße Nashorn jetzt? Welchem Klima und welcher Pflanzendecke ist es angepasst? Wie grast es? Wie hoch sind die Gräser, die das Weiße Nashorn im Laufe des Jahres abweidet? Wie viel Rohprotein (Trockengewicht) enthält dieses Gras? Und bei wie viel Regen im Jahr wächst dieses Gras dort?

R. Norman Owen-Smith, Universität von Witwatersrand, Südafrika, hat das Weiße Nashorn erforscht. Er schreibt: „Es bevorzugt die halbtrockene Savanne, obwohl man in Simbabwe diese Tieren im allgemeinen im Grasland (drainage line grasslands) antrifft. ... Der mittlere jährliche Niederschlag bei Mpila Camp in Umfolozi (Südafrika) ist 700 mm (1959-1980). 70% davon fällt in den sechs Sommermonaten Oktober bis März. Der Niederschlag nimmt nach Norden hin zu. Am Hilltop Camp in Hluhluve erreicht er einen Mittelwert von 985 mm (1932-1980).“ (1988:28, 29).

„Kurze Gräser waren das wichtigstes Futter während der nassen Jahreszeit, während das Gras grün oder hauptsächlich grün blieb. Gräser, die im Schatten wachsen, besonders Panicum Maximum, suchten sie besonders in der frühen trockenen Jahreszeit, weil sie länger als andere Gräser grün bleiben. Kräuter (forbs) bildete nur 1% der jährlichen Nahrung. Sie nahmen sie anscheinend meistens unabsichtlich zusammen mit dem Gras auf. Sie fressen kein Laub und keine Zweige. Manchmal kauten sie an holzigen Stängeln.

„In den trockenen Monaten grasen sie meistens auf dem kurzen Grasweideland. Am äußeren Rand der Kurzgrasflächen, bei den Termitenhügeln, hielten sie sich besonders gerne auf. Beim Grasen schwenken die Weißen Nashörner den Kopf hin und her und weiden das Gras ab, das sie bei jedem Schritt erreichen. Die mittlere Höhe des Grases, das sie abweideten, vergrößerte sich von etwa 100 mm während der nassen Jahreszeit auf etwa 200 mm während der trockenen Jahreszeit. Wenn sie trockenes Gras fraßen, bissen sie es bis auf eine Höhe von 25-60 mm ab. Auf kurzem Gras nahmen sie durchschnittlich 72 Bisse je Minute auf.

„Der mittlere Rohprotein-Gehalt in ganzen Pflanzen von Themeda triandra, die auf sandigen Böden in Umfolozi wachsen, war 5,9%. Pflanzen der gleichen Art, die in den Tälern auf lehmigem Boden wachsen, enthielten 7,8%. Panicum Maximum zeigte einen ähnlichen Unterschied (11,7% gegen 14,9%).

„Die Weißen Nashörner der nördlichen Spezies in Uganda fraßen meistens mittelhohe Gräser. ... Dieses Gras fraßen sie dort bis auf eine Höhe von 250-300 mm ab. Sie reduzierten es auf ein Niveau von ungefähr 50 mm.“ - Owen-Smith, R. N. (1988:41-44).

 

 

Das Weiße Nashorn oder Breitmaul-Nashorn (Ceratotherium simum) in Afrika. Nach H. Haltenoth und H. Diller (1977) Tafel 22. Es hat die rechteckige Oberlippe des Grasfressers. Seine Hörner sind rund, nicht flach, wie ein Messer, wie die des Fellnashorns.

 

Fettes Weißes Nashorn

Wie fett wird das Weiße Nashorn, das im tropischen und subtropischen Afrika lebt? Warum wird es dort überhaupt fett?

R. N. Owen-Smith: „Besonders die Weißen Nashörner setzen Fett an, damit sie die trockene Jahreszeit besser überstehen können. Selous (1899) bemerkte dazu: ‚Gegen Ende der regnerischen Jahreszeit, im Februar und März, wurde das Weiße Nashörner früher sehr fett. Und sie blieben dann in gutem Zustand bis spät in die trockene Jahreszeit hinein. Sie waren so fett, dass zwischen der Haut und dem Fleisch auf dem größeren Teil des Körpers eine Fettschicht lag. Sie war über einen Zoll (2,54 cm) dick. Das habe ich selbst gesehen. Der ganze Bauch war dann zwei Zoll (5,8 cm) tief mit Fett gedeckt.‘

„Die Existenz ähnlicher dicker Fettablagerungen in der nördlichen Unterart des Weißen Nashornes haben Cave und Allbrook bestätigt (1958). Nilpferde waren früher unter Jägern wegen ihres Fettes berühmt. Und Legers (1968) Daten zeigen, dass der Kadaver des Nilpferdes 7-11% seines Körpergewichtes an Fett enthielt. Das ist mehr als zweimal der mittlere Wert für afrikanische wilde Wiederkäuer.“ - Owen-Smith, R. N. (1988:87).

„Weiße Nashörner und Nilpferde verwandeln das Büschelgras in Gebiete, wo niedrige und kriechende Arten wachsen. Tief liegende Gräser haben einen höheren Blattanteil, und im allgemeinen auch einen höheren Protein- und niedrigeren Fasergehalt in ihren Blättern, als größere Gräser. Kurzgrasweiden haben daher mehr Blätter und bieten nahrhafteres Futter als hohes Gras (McNughton 1985).

„Aber die Weißen Nashörner sind auf den Vorrat größerer Gräser angewiesen, damit sie die trockene Jahreszeit überleben können, wenn sie das kurze Gras zu Stoppeln abgegrast haben. Wenn sie alles große Gras in kurzes Gras verwandeln würden, wären die Weißen Nashörner in Gefahr, während der Trockenheit zu verhungern.“ - Smith, R. N. (1988:259).