Kapitel 6: Schandrin Mammut

Den Schandrin Mammutbullen hat man am Schandrin Fluss, in NE Sibirien, gefunden. Er lag in einem riesigen „Maulwurfshügel“, vor dem fossilen Eis, in der Nähe der Eismeerküste. Wann hat dieser Elefant gelebt? In was für einem Klima hat er dort oben gelebt? Wie ist er gestorben? Wie ist das Schandrin Mammut in diesen riesigen „Maulwurfshügel“ hinein gekommen? Was haben die Wissenschaftler darüber herausgefunden?

Karte von Nordost-Sibirien, mit den Stellen, an denen man die Reste des Wollhaar-Mammuts und seiner Begleiter gefunden hat. Der Schandrin Fluss liegt östlich vom Delta des Indigirka Flusses, an der Eismeerküste. Nach: Vereschchagin and Baryschnikov (1982:270) Bild 1.

Professor N, K. Vereschchagin berichtet: „Unsere jakutischen Kollegen, die Geologen P. A. Lazarev und B. S. Rusanov, erfuhren im Sommer 1972, dass man am Fluss Schandrina ein Mammutskelett entdeckt hat. Das ist auf der Ostseite des Indigirka Deltas. Es lag in einem baydzherach Gebiet in angeschwemmtem Land (welches fließendes Wasser abgesetzt hat), etwas über dem heutigen Fluss. (Ein baydzherach ist in jakutisch ein riesiger ‚Maulwurfshügel’. Das ist ein Haufen Lehm, der von dem senkrechten Pfeiler übrig blieb, wenn das fossile Eis, das ihn umgab, weggeschmolzen ist.) Sie spritzten die Erde weg. Und ein ganzes Skelett erschien. Es war ein altes Tier gewesen, denn seine hinteren Backenzähne fehlten. Ein früherer Besucher hatte die Stoßzähne abgeschnitten. Es ist wahrscheinlich eines natürlichen Todes in hohem Alter gestorben, denn es lag auf seinem Magen, mit den Beinen nach vorne hin ausgestreckt. Der Elefant stirbt in dieser Stellung.

„Die Oberfläche der Knochen, besonders die Rippen, war durch Vivianit dunkelblau gefärbt. Das zeigt uns, dass es in anärobischem, sandigem (siltigem) Süßwasser begraben wurde. Wolle, Muskel oder Ligamente waren nicht erhalten. Aber, geschützt durch den Rippenkäfig und die Darmknochen, waren die inneren Organe mehr oder weniger intakt. Ein 250 kg gefrorener Block enthielt das halb verweste Gewebe des Magens, der Gedärme und anderer Organe. Man brachte ihn in die Permafrostgrube in Jakutsk, um sie weiter zu untersuchen. Auf der Oberfläche dieses Blockes, in der Nähe der Lendenwirbel, fand Rusanov 12 große Larven einer Magenbremse. Larven dieser Gattung, Cobboldia, leben im Magen des heutigen Indischen Elefanten.“ (1974:8, 9).

Die Botanikerin V. V. Ukraintseva berichtet über das Schandrin Mammut: „Das Skelett stammt von einem alten, aber nicht sehr großen männlichen Mammut. Es war 60-70 Jahre alt (Vereschchagin, 1975). Es war in geschichtetem Flusslehm, der groben Kies enthielt, eingebettet. Unter einer Decke von Rippen und breiten Beckenknochen konnte man die inneren Organe und einen gut erhaltenen gefrorenen Block sehen.“ Die Präparation zeigte, dass das Mammut an Erstickung (Asphyxia) gestorben war. Sein Mageninhalt enthielt auch die Pollen der Segge Kobresia capilliformis Ivanova. (1993:158). Asphyxia = Ersticken, zum Beispiel durch Ertrinken.

Wildpferd

Etwas weiter im Südwesten, am oberen Indigirka Fluss, enthielt der Mageninhalt eines Wildpferdes, das man im Dauerfrostboden fand, auch viele Samenkörner der Segge Kobresia capilliformis.

Professor R. Dale Guthrie sagt über die Segge Kobresia capilliformis: „Diese Trockenheit liebende Seggen-Spezies, bemerkt Ukraintseva, ist heute im Indigirka Gebiet nicht anwesend. Aber sie ist eine typische Pflanze in den hohen trockenen Bergen Mittelasiens, des Mittleren Ostens und der Mongolei. Sie schloss daraus, dass sie in dem Gebiet, wo das Pferd starb, reichlich vorhanden war.

„Interessant ist hier, dass John Matthews eine Spezies von Kobresia Samen im Fell des Colorado Creek mammoth, bei McGrath (West) Alaska) gefunden hat. Diese Trockenheit liebende Segge wächst auch in der Mongolei. Die Matte der Mammuthaare war mit diesen kleinen schwarzen Kobresia Samenkörnern beladen. Aber der Mageninhalt (epidermale Analyse) enthielt vorwiegend Gräser (85%) und einige Seggen. Die Kohlenstoff-14 Daten von den Überresten der Colorado Mammut-Stelle in West Alaska schwanken zwischen 12.980 und 22.850 Jahre v.h. (1990:33, 34).

Wo wächst diese Pflanze jetzt? - Gemäß Professor Heinrich Walter (1974) wächst diese Segge Kobresia capilliformis jetzt auf den mittelasiatischen Bergen, auf dem Tienschan. Wo es feucht ist, bildet sie Kobresia capilliformis-Rasen, bei 40-42°N. Sie wächst auf dem Pamir Gebiet, der mittelasiatischen Hochebene und bildet dort Wiesen, bei 37°N. Das ist etwa 4.700 km weiter südwestlich von der Stelle, wo man das Schandrin Mammut gefunden hat. Das heißt, nahe 70°N, östlich vom Indigirka Delta, in der Nähe des Arktischen Ozeans.

In was für einem Klima ist diese Pflanze bei 70°N, östlich vom Indigirka Delta, gewachsen? – Man hat die Überreste des Mammutbullen am mittleren Lauf des Schandrin Flusses gefunden, nahe 70°N. Dort ist die Nettostrahlung an der Erdoberfläche jetzt 10 kcal/cm² (8-12 kcal/cm²) im Jahr. In Mittelasien wächst Kobresia capilliformis jetzt bei 37-42°N. Die netto Strahlung an der Oberfläche der Erde in den tieferen Gebieten und auf den Südhängen ist dort 50 kcal/cm² im Jahr. Das ist fünfmal mehr als bei 70°N.

Daraus schließe ich: Die jährliche Nettostrahlung an der Erdoberfläche am mittleren Lauf des Schandrin Flusses, nahe 70°N, muss auch um 50 kcal/cm² gewesen sein, als das Mammut dort oben graste. Nordost Sibiriens Arktische Küste muss dann ein Klima gehabt haben, wie wir es jetzt in Mittelasien bei 40°N finden, etwa 4.700 km weiter südwestlich. Eine zonale trockene Steppe kann nicht in einem arktischen Klima wachsen. Es muss dann viel wärmer sein.

Starb an Altersschwäche?

Der Schandrin Mammut Bulle war etwa 60-70 Jahre alt. Seine hinteren Backenzähne fehlten. Er lag auf dem Bauch. Deshalb muss er an Altersschwäche gestorben sein, meint Professor N. K. Vereschchagin. – Stimmt das? Aus mindestens zwei Gründe ist das recht zweifelhaft.

1.      Während der großen Trockenheit im Tsavo Ost Nationalpark, in Kenia, Ost Afrika, in 1970/71, sind etwa 5.900 Elefanten verhungert. Der britische Biologe Malcolm Coe, Universität von Oxford, hat ihre Kadaver untersucht. Er fand heraus: Alle toten Elefanten lagen auf der Seite, nicht auf dem Bauch. (1979:76, 77).

2.      Sehr alten Mammuten ist es im Hohen Norden recht gut ergangen, auch nachdem sie ihren letzten Satz Backenzähne verloren hatten, und nicht nur ihre hinteren Backenzähne. - Professor W. G. Garrut, einer der führenden Elefantenexperten der Welt, hat dies herausgefunden:

„An einigen Schädeln sehr alter Mammute aus dem nördlichsten Teil Ost Sibiriens, hat der Autor (W. E. Garutt) festgestellt, dass die letzten Backenzähne so sehr abgenutzt waren, dass nur kleine Stücke von einigen Quadratzentimetern vorhanden waren. Alle Alveoli (Löcher, in denen der Zahn gesessen hat), waren völlig mit einer gewachsenen Knochensubstanz gefüllt. Ähnliche Stücke man hat auch in Alaska beschrieben.

„Man kann sich nur wundern, wie diese Tiere dann noch genug zu fressen gefunden haben. Die Tatsache, dass diese Mammute ein hohes Alter erreicht haben, beweist, dass die Lebensbedingungen dieser Tiere in Sibirien und Alaska sehr günstig gewesen sein müssen. Und ihr Futter muss recht weich und nahrhaft gewesen sein. Warum sind die Mammute dann ausgestorben? Diese Fragen und die Gründe sind außergewöhnlich komplex. Man kann schlecht verstehen, warum ein Tier verschwinden sollte, das so gut den rauen klimatischen Zuständen und der groben Pflanzennahrung angepasst war. Ganz seltsam ist auch dieses: Das Mammut hat die Eiszeit so gut überlebt. Aber dann starb es gerade aus, als das Klima in seinem Gebiet günstiger wurde.“ (1964:71, 130).

Magenbremse Cobboldia

Diesen Mammut Bullen hat man im Jahre 1972 am Fluss-Schandrin geborgen. Auf seinen gefrorenen Gedärmen fand der Geologe Rusanov, in der Nähe der Lendenwirbel, 12 große Larven der Magenbremse. Larven dieser Gattung, Cobboldia, leben jetzt im Magen des Indischen Elefanten. Was zeigt uns dieses Insekt über das Klima, in dem das Mammut in Nordost Sibirien gelebt hat, und über die Pflanzendecke, auf dem es gegrast hat? Was erzählt es uns über die Mammut-Dichte Nordost Sibiriens? Kann Cobboldia auch überleben, wo es nur einige Elefanten gibt?

Vor einigen Jahren fragte ich einen Geologen aus Jakutsk: Wo hat das nordsibirische Mammut im Winter gelebt? – Er erwiderte mir: Im Herbst ist das Mammut nach Süden gewandert, nach Mittelasien und Indien. – Ich fragte ihn: Wie können sie das beweisen? – Er erwiderte: Die gleiche Art Magenbremse Cobboldia, die man auf dem Gedärme des Schandrin Mammuts gefunden hat, lebt jetzt auch im Indischen Elefanten. – Beweist das, dass das nordsibirische Mammut im Herbst nach Indien gewandert ist? Ist diese Fliege auch von der gleichen Spezies?

Scott A. Elias, ein amerikanischer Insektenexperte, sagt: „Grunin (1973) beschrieb eine ausgestorbene Spezies von Bremse, die aus einem Mammut Kadaver stammt, den man am Schandrin Fluss in Nordost Sibirien gefunden hat. Die Häute von Larven von Cobboldia russanovi hat man in diesem Mammut Kadaver entdeckt. Einige Spezies von Bremsen leben heute als Parasiten in Elefanten. Aber diese Fossilien stimmen mit keiner der heute lebenden Spezies überein. Deshalb scheint die Spezies, der sie angehören, zusammen mit ihrem Wirt ausgestorben zu sein.“ (1994:171).

Ich schrieb an Dr. R. K. Sundaram, Professor für Parasitologie am College für Tierärztliche und Tier-Wissenschaften in Mannuthy, Kerala, Indien. Er hat 30 Jahre lang die Bremse erforscht. Professor Sundaram erwiderte mir in seinem Brief vom 30. Juli 1979:

„Technisch gesehen genügen sogar ein paar Elefanten an einer Stelle, damit diese Fliegen überleben können. Aber gemäß unserer Erfahrung findet man die Cobboldia-Maden in Tieren, die in Herden gelebt haben. Wir haben recht viele Elefanten in Kerala. Und man fängt und zähmt sie die ganze Zeit über. Dort gibt es Herden von Elefanten. Sehr oft nehmen sie an öffentlichen oder religiösen Funktionen teil. Hier in Trichur, zum Beispiel, versammeln sich 100 bis 150 Elefanten einmal im Jahr zu einem Fest, das zwei Tag dauert. Doch wenn wir dann mal irgendeinen toten Elefanten bekommen, finden wir nur sehr selten Bremsen. Unter erzwungenen Zuständen, wie wir sie in einem fremden Zoo antreffen (wo es keine Herden wilder Elefanten gibt), ist es ganz unwahrscheinlich, dass sich die Fliege dort ausbreiten kann. Ungünstige klimatische Zustände, nur wenige Elefanten als Wirtstiere, ein langer Zuchtzyklus der Fliege und so weiter, wiegen schwer gegen die Fliege. Es gibt nur eine Ernte an Fliegen in einem Jahr, sogar in günstigen Gegenden. ...

„Als Larven leben sie in den Tropen 3 Wochen. Die erwachsenen Fliegen, wie andere Mitglieder der Familie Oestridae, fressen überhaupt nicht, wenn sie erwachsen sind. Und sie leben nur 20 Tage. Wenn keine Gastgeber während der erwachsenen Phase für das Legen von Eiern verfügbar sind, wird der Zyklus gebrochen. Bei nur zwei oder drei Tieren, um die man sich sehr gut kümmert, kann diese Fliege wahrscheinlich nicht unbegrenzt gedeihen. Dafür braucht man eine Herde oder Herden von Elefanten.“

Findet man die Bremse Cobboldia auch im Afrikanischen Elefanten? Was zeigt das über die Dichte des Elefantenbestandes? – Ich schrieb an S. K. Eltringham, Abt. Zoologie, Universität von Cambridge, England. - Er erwiderte mir am 30. Mai 1995:

„Bremsen kommen tatsächlich in Afrikanischen Elefanten vor und sind überall reichlich vorhanden. Eine hat man als Cobboldia loxodontis beschrieben, aber jetzt nennt man sie Platycobboldia loxidontis. Es gibt noch eine Bremse, die Elefanten-Kehlbremse, die es nur im Elefanten im Regenwald Zentral Afrikas gibt. Wie der Name schon sagt, findet man sie in der Kehle. Es gibt andere Bremsen, die im Magen Afrikanischer Elefanten leben, auch die grünen und blauen Spezies.

„Ich kann Ihnen leider nicht bei der Frage helfen, die mit der Elefantendichte zu tun hat. Ich bezweifele, dass es darüber Informationen gibt. Taxonomische Entymologen interessieren sich normalerweise nicht für die Bestandsdichte der Wirtstiere. Und Elefanten-Biologen interessieren sich oft nicht für die Parasiten. Man könnte erwarten, dass die Chancen, dass die Fliege ein neues Wirtstier finden wird, geringer worden sind. Weil man in einigen Gebieten so viele Elefanten getötet hat. Und auch, weil die erwachsene Fliege so kurzlebig ist.“

Saiga-Antilope und Bremse

Die Bremse kann nur überleben, wo genug Wirtstiere leben. Das wird uns auch die Saiga Antilope in Mittelasien zeigen. Professor V. G. Heptner et al. (1974:597), fanden heraus: „Zuerst musste die Saiga Antilope viel unter der Bremse Pallasiomyia antilopum leiden. Am Ende der 1920er Jahre hat man die Saiga Antilope so schwer bejagt, dass nur ein paar übrig blieben. Und die Bremse starb aus. Von den 1930er Jahren an hat man sie dann nicht mehr gefunden. Diese Bremse lebt jetzt nur noch auf dem isolierten Saiga Bestand der mongolischen Unterart.“

Ergebnis

Die Magenbremse Cobboldia im Mammut Nordost Sibiriens konnte oben nur überleben, weil dort viele große Herden dieser Elefanten grasten. Die Bremse kann nur leben, wo die Dichte ihres Wirtstieres hoch ist. Große Dichten (= große Herden) von Elefanten gibt es nur, wo sie genug Futter finden. Und genug Futter finden sie nur in einem milden, gemäßigten Klima. Dort ist die Wachstumsperiode der Pflanzen sehr lang. Und dort gibt es keinen arktischen Winter. In einem arktischen Klima ist das nicht möglich. Die Bremse Cobboldia, die man im Schandrin Mammut-Bullen gefunden hat, passt zu keiner der bekannten Spezies von Cobboldia, die jetzt im Indischen und Afrikanischen Elefanten lebt. Deshalb scheint die Spezies dieser Bremse, die im Mammut Nordost Sibiriens gelebt hat, zusammen mit ihrem Wirt ausgestorben zu sein.

Roschins Mammut

Auch früher hat man schon ganze Mammute im Fleisch gefunden, zum Beispiel am unteren Indigirka Fluss. Baron G. Maydell bereiste als hoher Beamter der Kaiserlichen Regierung NE Sibirien. An der unteren Indigirka erzählte man ihm von einem ganzen Mammut. Man hat es etwas südlich vom Schandrin Fluss gefunden: am Schangin Fluss, bei 69°N. Die Kaiserliche Regierung in St. Petersburg hatte eine Belohnung versprochen, wenn man ihr über Körper von Mammuten berichtete, die man gefunden hat.

An der unteren Indigirka unterhielt sich Baron Maydell mit den Einheimischen, auch mit einem gewissen Strukof über Mammut-Stoßzähne und ganze Mammutkörper. Strukof bedauerte es sehr, dass er erst jetzt von dieser Belohnung erfuhr. Denn dann hätte man manchmal „ein Stück Geld machen können“.

Strukof erzählte Maydell dann: „Der bekannte Roschin hat sein Leben lang nach Mammut-Stoßzähnen gesucht. Und er ist öfter auf den Inseln des Eismeeres gewesen, als die meisten Bewohner von Russkoje Ust-Jansk. Vor etwa dreißig Jahren, zusammen mit seinem Sohn Prokofij, der jetzt noch in Russkoye lebt, ist er den Schangin Fluss herunter gefahren, der nahe Oschogin in die Indigirka fließt. Etwa 150 Werst (160 km) vor seiner Mündung, im Flussufer, fanden sie ein Mammut. Nur den Kopf, der tief herunter hing, und die beiden Vorderbeine, konnten sie sehen. Der Körper und sein ganzes Hinterteil steckten noch in der gefrorenen Erde. Das Tier stand aufrecht im Boden. Der alte Roschin meinte deshalb, dass diese Tiere früher gestorben sind, während sie aufrecht standen. Haare deckten den Kopf und die Beine. Es hatte zwei kurze Stoßzähne. Roschin hackte sie ab und nahm sie mit.“ - Maydell, G. (1893).