Kapitel 4: Der Eurasische Luchs

Wo lebt der eurasische Luchs (Lynx lynx) jetzt? Wie schwer wird er? Welche Arten von Tieren tötet er als Nahrung? Und wie viel Beutebiomasse muss die Heimat des sesshaften eurasischen Luchses mindestens haben, wenn er Junge aufzieht?

Trabender Luchs. Naturreservat ‘Stolby’ bei Krasnojarsk, Ostsibirien. Foto V. V. Kozlov. In: V.G. Heptner et al. (1980:476) Bild 243.

Der russische Professor V. G. Heptner (1980) berichtet: „Im nördlichen europäischen Russland ist der Schneehase im Winter die wichtigste Beute des Luchses. Wenn es keine Hasen gibt, wird der Luchs auch selten sein. Der Luchs tötet Rotwild, Rentiere, junge Elche, Rehe, Hausschafe, Schweine, Hunde, sibirische Steinböcke und Füchse. Der Luchs jagt überall kleinere Huftiere, hauptsächlich Rehe und Moschustiere, gewöhnlich, wenn der Schnee tief oder verkrustet ist. In Gebieten, wo es keine Huftiere gibt, oder wo sie selten sind, fängt sich der Luchs Hasen, hauptsächlich Schneehasen. Seine Dichte hängt von der Anzahl der Schneehasen ab.

„In der bergigen Taiga (Nadelwald), fängt er im Winter kleinere Huftiere (besonders Reh und Moschustier). Hasen kommen erst an zweiter Stelle. Nagetiere (Murmeltiere, Eichhörnchen, Erdhörnchen und Mäuse), Pikas (Pfeifhasen) und Vögel (hauptsächlich Hühnervögel) spielen in den schneelosen Monaten eine wichtige Rolle, sind aber ist nicht seine Hauptnahrung.

„Trotz seiner Größe frisst der Luchs nur wenig. Im Mordwinischen Reservat (südöstlich von Moskau), frisst ein erwachsener Luchs in 5 Wintermonaten 240 kg Fleisch. Im Zoo bekommt der erwachsene Luchs am Tag 1.500 g Fleisch. Im Zentralen Waldreservat im Gebiet von Welikije Luki frisst ein Luchs durchschnittlich in 4 Tagen einen Schneehasen. In einem Jahr verzehrt er dann bis zu 100 Hasen. Eine Luchsfamilie aus 1 Weibchen und 2 jungen Tieren verzehrt am Tag einen ganzen Hasen."

Heimatgebiet des Luchses

Das Heimatgebiet des Luchses hängt von der Anzahl der Luchse, der Anzahl seiner Beute ab, und davon, wie leicht er diese Beute fangen kann. Im Kreis Prioserny im Gebiet von Archangelsk, Nordrussland, im Dezember, auf einem Gebiet von 30x18 km, gibt es 13 Luchse. Jeder hatte durchschnittlich 41 km². Im Gebiet von Kemerowo, in Westsibirien, bewohnt der Luchs im Winter ein Gebiet von 25-100 km². Der europäische erwachsene männliche Luchs wiegt durchschnittlich 19,6 kg. Das Weibchen 17,3 kg. Der Karpatische Luchs in SE Europa: Männlich 25,7 (15,5-36,5) kg. Weibchen: 19,2 (13,8-29,0) kg. Das ist der größte Luchs. - Heptner, V. G. (1980:437).

Der Schneehase (Lepus othus) wiegt etwa 2,5 – 3,0 kg. Es kann 400 bis 2.400 Schneehasen/km² geben. Die Raubtiere nutzen 20-40% der jährlichen Hasenproduktion. - Grzimeks Enzyklopädie (1987) Bd. 4.

Polarhase (Lepus othus). Im Hohen Norden bleibt sein Fell das ganze Jahr über weiß. Weiter im Süden wird es im Sommer braun. Der Eurasische Luchs lebt vorwiegend von Polarhasen. In den Jahren, in denen es nur wenige Polarhasen gibt, gibt es auch wenige Luchse. Aus Bernard Stonehouse, Animals of the Arctic, the ecology of the Far North (1971:123)

 

Eurasischer Luchs mit zwei Jungen

Eine Familie aus 1 weiblichen Eurasischer Luchs und 2 Jungen verzehrt am Tag einen ganzen Hasen (Heptner, 1980). Wie viel verdauliche und metabolische Energie müssen sie dann am Tag aufnehmen? Ich nehme hier an, dass die Mutter auch das Futter frisst, das ihre beiden Jungen fressen.

Der durchschnittliche erwachsene weibliche Europäische Luchs wiegt etwa 17,3 kg. Der durchschnittliche erwachsene Schneehase wiegt 2,75 (2,50-3,00) kg. Der Kanada Luchs frisst etwa 85,173% des Schneeschuhhasen (Saunders, J. K.1963). Der Europäische Luchs kann dann 2,342 kg vom 2,75-kg Schneehasen fressen. Das ist 824,384 g DM/Tag (bei 35,2% DM). Der Europäische weibliche Luchs, mit ihren beiden Jungen, wenn sie an einem Tag einen ganzen erwachsenen Schneehasen verzehren, nimmt dann 439 kcal DE und 372 kcal ME/kg0.75 am Tag auf.

 

Dieser eurasische Luchs hat gerade einen Hirsch als Nahrung getötet. Aus: Grzimeks Enzyklopädie (1988:613) Bd. 3.

 

Niedrigster Beutebiomasse

Wie viel Beutebiomasse/km² braucht der Europäische Luchs mindestens, wenn er im nördlichen Teil seines Gebietes Junge aufzieht?

Im Gebiet von Prioserny, bei Archangelsk, in Nordrussland, bei 65°N, nahe der Küste des Weißen Meeres, im Dezember, lebten 13 Luchse auf 30x18 km. Jeder Luchs hatte durchschnittlich 41 km² (Heptner, 1980). Ein Europäischer weiblicher Luchs, der 17,3 kg wiegt, und seine beiden Jungen fressen am Tag 1 ganzen Schneehasen. Dieser Schneehase wiegt 2,75 kg. In 1 Jahr muss diese Luchsfamilie dann1.004 kg Schneehasen-Biomasse auf ihrem 41 km²-Heimatgebiet töten. Der Kanada Luchs in Mittel Alberta, W. Kanada, tötet etwa 7,964% der gesamten Beutebiomasse auf seinem Heimatgebiet im Jahr, wenn er Junge aufzieht. Der Europäische weibliche Luchs, mit seinen beiden Jungen, auf seinem 41 km²-Heimatgebiet, auf der Waldtundra bei Archangelsk, in der Nähe des Weißen Meeres, braucht dann eine Beutebiomasse von 307 kg/km², wenn er Junge aufzieht.

Das bedeutet: Der sesshafte, reproduzierende eurasische Luchs (Lynx lynx), der 17,3 kg wiegt, kann nur in diesem subarktischen Klima leben, wenn es dort eine Beutebiomasse, (von Schneehasen) von mindestens 307 kg/km² gibt. Und der kleinere sesshafte Kanada Luchs, der 8,6 kg wiegt, braucht auf seinem 17,8 km²-Heimatgebiet, eine Beutebiomasse von mindestens 283 kg/km².  

Ergebnis

Der eurasische Luchs (Lynx lynx) ist von NW Europa bis nach Ost Sibirien verbreitet. Das durchschnittliche Männchen wiegt 19,6 kg, das Weibchen 17,3 kg. Der Karpatische männliche Luchs in SE Europa kann bis zu 36 kg erreichen. Der sesshafte weibliche Luchs, mit zwei Jungen, lebt in NW Russland, nahe Archangelsk, auf seinem 41 km²-Heimatgebiet. Sie verzehren einen erwachsenen Schneehasen am Tag, der 2,75 kg wiegt. Das sind 365 Schneehasen im Jahr (Heptner, 1980).

Der sesshafte eurasische Luchs, der Junge aufzieht, kann nur in der Waldtundra leben, wenn es dort eine Beutebiomasse (an Schneehasen) von wenigstens 307 kg/km² gibt. Die Afrikanische Löwin, mit zwei Jungen, 6 Monate alt, braucht eine Huftierbiomasse von wenigstens 3.145 kg/km². Das ist 10,2mal mehr, als der eurasische Luchs in der nordrussischen Waldtundra am Weißen Meer braucht. Das widerlegt eindeutig die Ansicht, der Höhlenlöwe und das Mammut seien dem strengen arktischen Klima angepasst gewesen.

Der Eurasische Luchs (Lynx lynx). Aus Grzimeks Enzyklopädie (1988:612) Bd. 3. Er ist von Nordwest Europa bis Ost Sibirien verbreitet. Das Männchen wiegt 19.6 kg, das Weibchen 17.3 kg. Der Luchs in den Karpaten kann bis zu 36 kg wiegen. Der sesshafte weibliche Luchs, mit zwei Jungen, lebt in N.W. Russland, bei Archangelsk, nahe der Küste des Weißen Meeres, auf seinem 41 km² großen Heimatgebiet.

Er verzehrt dort 1 erwachsenen Polarhasen am Tag, der durchschnittlich 2.75 kg wiegt. Das sind 365 Polarhasen im Jahr (Heptner 1980). Der Eurasische Luchs, der Junge aufzieht, kann nur im Hohen Norden leben, in der Waldtundra, wo eine Beutebiomasse (an Polarhasen) von mindestens 307 kg//km² vorhanden ist. Der Luchs widerlegt ganz klar die Ansicht, dass der viel größere Höhlenlöwe im Hohen Norden in einem arktischen Klima gelebt hat. Dort gibt es zu wenig Nahrung.

Polarhasen auf den kanadischen Hocharktischen Inseln. Sie legen die Ohren an und machen sich so klein und rund wie möglich, um sich vor der Kälte zu schützen. Ihre Füße werden nicht kalt, weil sie auch auf der Unterseite dicht behaart sind. Nach: David R. Gray, The Muskoxen of Polar Bear Pass (1987).

 

Der Luchs in der Schweiz

 

Am 6. Februar 2002 um 20:15 Uhr hat der deutsche Fernsehsender 3SAT einen Film über den Europäischen Luchs (Lynx lynx) gesendet, unter dem Titel NetzNatur: Luchs. In dieser Reportage geht es um den Luchs, den man wieder in der Ostschweiz eingebürgert hat.

 

Wie viele Luchse leben jetzt wieder in der Schweiz, nachdem er dort 1 bis 2 Jahrhunderte lang ausgerottet gewesen ist? Wie viel Futter braucht der erwachsene eurasische Luchs (Lynx lynx) am Tag und im Jahr? Von welchen Tieren lebt er dort hauptsächlich? Und wie hoch muss die Huftierbiomasse dort mindestens in der ärmsten Zeit des Jahres sein?

 

Der Biologe Andreas Moser berichtet in diesem Film: In der Ostschweiz leben jetzt wieder 40-60 Luchse. Der Luchs lebt dort vorwiegend von Gemsen und Rehen. Ein erwachsener Luchs schlägt dort 60 Beutetiere im Jahr, hauptsächlich Gemsen und Rehe. Er tötet jede Woche ein Reh oder eine Gemse. Er verzehrt 3 kg Fleisch am Tag.

 

Von dem getöteten Huftier kann die Katze etwa 33% nicht verzehren: die Knochen, den Magen-Darm-Inhalt usw. Der erwachsene europäische Luchs wiegt etwa 19 kg, etwa doppelt so viel wie der Kanadische Luchs. Er braucht 3 kg Fleisch am Tag. Dazu kommen 33% unverdauliche Teile (Knochen, Mageninhalt). Das ist dann 3,990 kg lebende Huftierbeute am Tag oder aufgerundet 4 kg. Im Jahr braucht dieser Luchs dann 1456 kg lebende Huftierbiomasse.

 

Der Luchs, der von Huftieren lebt, statt von Hasen, tötet etwa 10% des Huftierbestandes in seinem Revier im Jahr: 1456 kg. Das sind 60 Beutetiere im Jahr. In seinem Revier müssen dann mindestens 14.560 kg Huftiere vorhanden sein. Das sind dann 600 Huftiere (Rehe, Gemsen und Rothirsche). Wie groß ist dieses Gebiet?

 

Im Norden Russlands, nahe der Küste des Weißen Meeres, umfasst das Heimatgebiet des sesshaften Luchses, der Junge aufzieht, durchschnittlich 41 km². Der erwachsene Luchs, der von kleinen Huftieren lebt, von Gemsen, Rehen und Rothirschen, braucht dann eine Huftierbiomasse von 355 kg/km². In seinem Revier müssen dann mindestens 600 Huftiere (Gemsen, Rehe, Rothirsche) vorhanden sein. So viel Huftierbiomasse muss dort mindestens in der magersten Zeit des Jahres vorhanden sein. Irgend ein Überschuss zu anderen Zeiten des Jahres ist dabei unwichtig.

 

Das bedeutet, die größte frei lebende sesshafte Wildkatze, die etwa 19 kg wiegt, kann nur leben, wo eine Huftierbiomasse von mindestens 355 kg/km² in der schlechtesten Zeit des Jahres vorhanden ist. Das sind 600 kleine Huftiere auf etwa 41 km². Von denen tötet sie 10 Prozent, 60 Stück im Jahr. In einem arktischen Klima ist das nicht möglich. Die arktische Tundra (oder Tundra-Steppe) kann keine Huftierbiomasse von 355 kg/km² ernähren. Ich möchte hier noch einmal betonen: So viel Huftierbiomasse muss dort in der magersten Zeit des Jahres vorhanden sein. Irgend ein Überschuss zu anderen Zeiten des Jahres ist dabei unwichtig.

Die kanadischen Wildtierbiologen R. J. Hudson und F. L. Bunnel (1980:210) haben festgestellt: Die arktische Tundra hat eine Biomasse (von Karibu und Moschusochsen) von nur 16-26 kg/km² oder durchschnittlich 22 kg/km². Deshalb konnten auch der Höhlenlöwe und der Tiger zusammen mit dem Wollhaarmammut im Hohen Norden nicht in einem arktischen Klima, auf einer arktischen Pflanzendecke gelebt haben. Das Klima muss damals viel milder gewesen sein, ohne arktischen Winter, ohne Eis und Schnee.