Kapitel 2: Der Moschusochse in Nordsibirien

Wie geht es jetzt dem Moschusochsen im nördlichsten Teil Sibiriens, wo man ihn wieder eingeführt hat? Wie überlebt er dort oben, im mittleren Teil der Taimyr Halbinsel und auf der Wrangel Insel?

Sava M. Uspenski, All-Union Forschungsinstitut für Naturerhaltung und Reservate, Russland, Moskauer Gebiet, UdSSR, berichtet über die Moschusochsen, die sie wieder in Nordsibirien eingeführt haben, in Proceedings of the first International Muskox Symposium, Biological Papers of the University of Alaska, Special Report No. 4, December 1984:

„Zwei Zentren des Habitats des Moschusochsen (Ovibos moschatus wardi Lidekker) existieren jetzt in der UdSSR – im Osten der Taimyr Halbinsel und auf der Wrangel Insel. Ende 1982 lebten dort insgesamt 85 Tiere. Beide Herden sind recht lebensfähig. Die Herden entstanden, als man im Jahr 1974 Tiere aus Kanada einführte (10 Tiere von Banks Island, NWT) und sie auf die Taimyr Halbinsel brachte. Und im Jahr 1975 kamen aus den USA, von Nunivak Island, Alaska, 40 Tiere. Man verteilte sie gleichmäßig auf diese beiden Gebiete.“

Taimyr Halbinsel

„Das Forschungsinstitut für Landwirtschaft im Äußersten Norden befindet sich in Norilsk (Yakushin 1978, 1982). Es führt diese Beobachtungen durch. Die Herde bewohnt das Gebiet östlich des Taimyr Sees (74-75°N) im südlichen Teil der arktischen Tundra. Die Byrranga Berge liegen im Norden. Und sie schützen das Gebiet vor den kalten arktischen Winden. Man hat die Moschusochsen aus folgenden Gründen in diesem Gebiet ausgesetzt: die Berge umgeben dieses Gebiet, das Klima ist kontinental, es fällt dort nur wenig Schnee, Tauwetter gibt es dort im Winter praktisch niemals und es gibt dort kein schwarzes Eis, dort wächst genug Futter und ist leicht erreichbar, und dort gibt es nur wenige Rentiere, die auch auf dieses Futter angewiesen sind. Moschusochsen haben noch vor recht kurzer Zeit den Taimyr bewohnt, vielleicht vor 100 bis 200 Jahren (Vereschagin 1959).

„Die importierten Tiere setzte man in Gehege. Das anfängliche Gebiet war 95 ha groß. Und im Jahr 1979 wurde es auf mehr als 2.500 ha vergrößert. Im Winter grasten die Tiere in Gebieten, wo viele Weiden wachsen, und auf der Seggen-Tundra auf Hängen und Plateaus. In dieser Zeit des Jahres bewegten sie sich nur wenig. Nachdem der Schnee geschmolzen war, grasten sie fast auf dem ganzen Gebiet des Geheges. Und während des Tages und der Nacht legten sie manchmal eine Entfernung von 8 bis 10 km zurück. Die Schneedecke war im Winter auf ihrem Weidegebiet 15 bis 30 cm hoch. Die Dichte des Schnees betrug 0,20 bis 0,33 g/cm³. An den tieferen Stellen war der Schnee nur 15 bis 17 cm hoch. Und die Dichte des Schnees betrug dort 0,19 bis 0,23 g/cm³. Im Sommer grasten die Tiere länger an einem Stück und ruhten sich länger aus an einem Stück, als in den anderen Jahreszeiten.

„Die Moschusochsen-Kühe kalbten vom 15. April bis zum 25. Juni, der Höhepunkt lag zwischen Ende April bis zur ersten Mai-Hälfte. Der Anfang des Kalbens fällt hier mit strengen Frösten zusammen (bis zu –30° und –40°C).“ - S. M. Uspenski (1984:12)

Wrangel Insel

„Am 17. April 1975 brachte man zwanzig Moschusochsen von Alaska auf die Wrangel Insel. Bis zum 7. Mai des gleichen Jahres hielt man sie in einem etwa 1,5 ha großen Gehege. ... Im März und April 1979 und in den folgenden Jahren lebten die Moschusochsen auf der Ebene im nördlichen Teil der Insel. Dort war der Schnee nur 20 bis 30 cm hoch.

„Man hat den Moschusochsen auf der Wrangel Insel ausgesetzt, weil das Winterklima dort kontinental ist. Der Schnee schmilzt nie im Winter, und es gibt dort keinen eisverkrusteten Boden. Dort liegt nur wenig Schnee und der Boden ist nicht zerklüftet. Deshalb eignet sich dieses Gebiet gut als Weideland. Die Wrangel Insel liegt in der Zone der arktischen Tundra. Im östlichen Teil dieser Insel wachsen die Pflanzen nur spärlich, sie sind niedrig und stehen weit auseinander. Im südlichen und mittleren Teil der Insel wächst tief-arktische Tundra. Die Vegetation besteht dort hauptsächlich aus Seggen und Moos-Tundra. Im mittleren Teil der Insel, in den Gebirgstälern und in Senken im Gebirge, wächst extrazonale Vegetation. Sie besteht aus nördlicher subarktischer Tundra, mit Weidensträuchern, die 1 m hoch sind. Die große Ebene, im Norden der Insel, ist, gemäß den Geobotanikern, mit hoch-arktischer Tundra bewachsen. ... Nach unseren Berechnungen könnte eine Herde von mehreren tausend Moschusochsen auf dieser Insel leben, ohne mit dem Rentier zu konkurrieren.“ - S. M. Uspenski (1984:13)

Victor V. Rapota, Wissenschaftliches Landwirtschaftliches Institut des Hohen Nordens, in Norilsk, Russland, berichtet über die "Ernährungsökologie der Taimyr Moschusochsen" in Biol. Pap. Univ. Alaska Spec. Rep. No. 4:75-80 (1984):

„Moschusochsen (Ovibos moschatus) hat man in den Jahren 1974 und 1975 wieder auf der Taimyr Halbinsel eingeführt. Man hat die Tiere zuerst 5 Jahre lang in Gehegen am Taimyr See gehalten. Dort hat man die Struktur der Herde, die Fortpflanzung und Ernährungsgewohnheiten beobachtet. In den Jahren 1974 und 1975 brachte man 30 Moschusochsen aus Kanada und Alaska auf die Taimyr Halbinsel (Yakushkin 1979). Dreiundachtzig Moschusochsen bewohnen jetzt das nordöstliche Gebiet der Halbinsel.“ - Rapota, V. V. (1984:75). – Anmerkung: Am Ende des Jahres 2000 leben jetzt 1.500-3.000 Moschusochsen auf Taimyr (Dick Mol, persönl. Mitteil.)

Am Anfang des Winters (Oktober bis November) ist die Schneedecke noch nicht hoch (10 bis 20 cm) und sie ist von niedriger Dichte. Die Moschusochsen schieben den Schnee dann leicht mit der Schnauze zur Seite oder scharren den Schnee mit dem Vorderbein weg, um an das Futter an der Erdoberfläche heran zu kommen. Wenn der mittlere Teil des Winters beginnt, grasen die Moschusochsen auf der Büschel-Tundra (tussock-tundra). ... Unter der Moosschicht, die totes Gefäßpflanzenmaterial enthält, gibt es Rhizome, neue Halme (tillers) und grüne Keime von Seggen, Gräsern, und Sumpfpflanzen (rushes). Sie sind sehr nahrhaft.

Mitten im Winter (Dezember bis März) suchen sich die Moschusochsen ihr Futter auf der Büschel-Tundra (tussock tundra) in tiefen Löchern oder Kratern, wo sie den Schnee und die Moosdecke weg gescharrt haben. So ähnlich grasen auch die Moschusochsen (an Stellen, wo der Boden mit Moos und Torf bedeckt ist), wie Bos (1966) das auf der Nunivak Insel beobachtet hat. Die Stellen, wo sie gemeinsam den Schnee weg gescharrt haben (collective feeding craters) können von 1 m² bis zu vielen Quadratmetern groß sein. Und das hängt auch davon ab, wie viel von diesem Gebiet mit der Weide Salix pulchra bewachsen ist. Die Moschusochsen grasen auf der Büscheltundra, bis die Schneedecke höher als 20 bis 30 cm ist und die Schneedichte 0,25 g/cm³ übersteigt.

Spät im Winter (März bis April) wird es für die Moschusochsen kritisch. Es fällt dann oft Schnee und sie kommen dann schlechter an ihr Futter heran. Starke Winde verteilen erneut den gedrifteten Schnee und bedecken die Büscheltundren. Aber von den unproduktiven flachen Büscheltundren und den Wüstentundren (desert pavement tundras) ist die hohe Schneedecke meistens weggeblasen. In dieser Jahreszeit müssen die Moschusochsen von Futter leben, das nur wenig Nährstoffe enthält, wie von Zweigen, trockenen Blättern und Weidenkätzchen, Dryas spp., Keimen und Flechten. Weil es für sie dann leichter ist, kleine Krater in den Schnee zu scharren, um an sie heran zu kommen.

Im Frühjahr (Juni) schmilzt der Schnee schnell. ... In der Zeit, wo kein Schnee liegt und am Anfang des Winters sind die arktischen Wiesen und die nasse Tundra für die Moschusochsen die wichtigsten Weidegründe. Aber in den anderen Jahreszeiten, sind die Büscheltundra, mit niedrigen Weiden, Seggen und Wollgras, Gräsern und Moosen und die flachen Büscheltundren, mit ihren Seggen, Dryas und Moosen wichtig. Die optimale Dichte des Moschusochsen-Bestandes am Taimyr See schätzen wir auf 1 Tier je 230 ha, darin sind auch die 10% der schon erwähnten nährstoffarmen Büscheltundra enthalten.“ - V. V. Rapota (1984:76, 78) – Das ist ein Moschusochse auf 1 km².

„Das Gebiet, das wir erforscht haben, hat ein ausgeprägt kontinentales Klima: Die jährliche Amplitude von Temperatur-Extremen in einigen Jahren erreicht 35°C (+28° und –7°C). Die durchschnittliche Temperatur im Juni ist +6.5°C, im Januar –33.2°C, während die durchschnittliche Jahrestemperatur –16.2°C beträgt. Die durchschnittliche jährliche Windgeschwindigkeit ist 6 m/sec.“ - V. V. Rapota (1984:79)

 

Moschusochsen-Herde hat einen Verteidigungsring gebildet, Bracebridge Inlet, Bathurst Island, N.W.T., Juli 1961. Foto von Donald Thomas. Aus: J. S. Tener, Muskoxen in Canada (1965). Canadian Wildlife Service.