Kapitel 9:  Mammutherden auf Wiesensteppe

 

Auf was für einem Grasland hat das Mammut gelebt? Wie hoch waren die Gräser auf dieser Steppe? In was für einem Klima sind sie gewachsen? Was haben russische Forscher jetzt darüber herausgefunden? Haben sie auf periglazialer Tundra gegrast, wie das Rentier und der Moschusochse heute?

 

Im Kongressbericht, 2nd International Mammoth Conference, May 16-20, 1999, Natuurmuseum Rotterdam, The Netherlands, Volume of Abstracts, Seite 62, 63 erfahren wir mehr darüber.

 

S. A. Sychewa, am Geographischen Institut, Russische Akademie der Wissenschaften, in Moskau, Russland, berichtet über ihre Forschungsergebnisse unter dem Titel „Die Rolle der lokalen Landschaften der periglazialen Waldsteppe auf der russischen Tiefebene bei der Erzeugung des Futter, das die Mammutherden in der Valdai-Zeit brauchten“:

 

„Die großen Mammutherden konnten sich nur normal vermehren, wenn eine hoch produktive Pflanzenwelt vorhanden war, die auf fruchtbarem Wiesenboden wächst. Die Ansicht, solch eine Pflanzendecke sei in dem extrem strengen Klima der periglazialen Zone der Russischen Tiefebene gewachsen, widerspricht den Bedingungen, unter denen Pflanzengesellschaften und die damit verbundenen Böden heute vorkommen. Zu dieser Folgerung sind wir gelangt, als wir die zonalen Bedingungen der Lößformationen der Valdai-Zeit auf den Wasserscheiden der Russischen Tiefebene rekonstruierten. Dort herrschten extreme Umweltbedingungen. Und dort gab es schwach sumpfige primitive Lößböden, die für die Entwicklung der produktiven Wiesensteppevegetation ungünstig sind (Anon, 1993). Dieser Widerspruch löste sich auf, als wir die Entwicklung der lokalen Landschaften der Russischen Tiefebene im Späten Pleistozän näher untersuchten.

 

„Wir haben die aufeinander folgenden Umwandlungen der lokalen Landschaften einschließlich der Wasserscheidenfragmente der Russischen Tiefebene, der großen Balka-Systeme und der Hänge der Täler vom Mikulino Interglazial (von 135.000-110.000 vor heute) bis zum Bryansk Interstadial (33.000-23.00 Jahre vor heute) untersucht (Sycheva 1996, 1997). Im Mikulino Interglazial waren die Wasserscheiden zergliedert. Die Balkas bewirkten im wesentlichen, dass sich die Vegetation und die Bodenbedeckung an den verschiedenen Stellen voneinander unterschieden.“

 

Anmerkung: ‚Balka’, ein langer Canyon, eine Schlucht, durch Witterungseinflüsse entstanden.

 

„Als die Valdai Vereisung kam, wurden die Wasserscheiden und Hangböden dann schnell abgetragen. Das Netzwerk der Täler, das Wind und Wasser geschaffen hatten, wurde begraben. Und es verwandelte sich gleichzeitig in ein System von Tälern (Senken mit flachem Boden). In der folgenden Frühen und Mittleren Valdai-Zeit waren genau diese zahlreichen Täler, mit flachem Boden, günstig, weil dort produktive Pflanzengesellschaften entstehen und sich erhalten konnten, weil sich in diesen Balkas (Erosionstäler mit flachem Boden), viel Feuchtigkeit und Nährstoffe ansammelten, so dass dort fruchtbare Wiesenböden entstehen konnten. Auf lokalem Niveau, als das Interglazial ins Glazial überging, machten die Wasserscheiden beträchtliche Umwandlungen durch und wurden durch ein Netzwerk von Senken mit flachem Talboden (Erosionstälern) und mit Senken bedeckt, in denen Wiesen mit hohem Gras wuchsen. Denn davon haben die Mammutherden hautsächlich gelebt. Die Landschaften mit niedrigen Flussterrassen, mit ähnlichen ökologischen Bedingungen, spielten bei der Entstehung der Wiesen für Mammute eine wichtige Rolle.“

 

Anmerkung: ‚Valdai Vereisung’ in Russland =  Würm Vereisung in Westeuropa, Wisconsin Vereisung in Nordamerika: die letzte große Eiszeit.

 

S. A. Sychewa: „In den Sedimenten, welche die begrabenen Balkas füllen, haben wir zwei bis vier interstadialzeitliche Böden des frühen und mittleren Valdai unterschieden (Sychewa 1997, 1998). Die alten Böden sind auf die gleiche Weise entstanden: sie behören zur Gruppe der Wiesenkalzium-Humusböden (Glazowskaja 1972). Ihr Humusgehalt (bis 1,2%) ist für fossile Böden hoch, während er in den Lössen 10mal niedriger ist. Das Verhältnis der Huminsäuren zu den Foulwischen Säuren (Ch/Cf) ist mehr als 1. Das beweist, dass sie unter einer Wiesensteppe entstanden sind (Tabelle 1). Solche heutigen Boden, die diesen alten Böden, den Wiesen-Schwarzerdeböden (tschernosem) ähneln, haben beträchtliche Werte des biologischen Zyklus des Aschengehaltes von 1500 bis 3000 kg/ha im Jahr (Titljanova 1979, 1997). Der Humusgehalt ist höher als der der Schwarzerde und enthält 180-300 Zentner/ha (Glazowskaja 1972, Titljanowa 1997). Solche Werte waren sehr wahrscheinlich für die Wiesenböden der valdaizeitlichen Flussterrassen, der Mulden mit flachem Boden und anderer Senken, mit einer hochproduktiven pflanzlichen Vegetation, von der sich die Mammutherden ernährt haben. kennzeichnend. Die Studie der Entwicklung der lokalen Landschaften und ihrer Bestandteile (Topographie und Böden) der periglazialen Valdai Zone der Russischen Tiefebene zeigt uns, dass dort Wiesen mit hohem Gras gewachsen sind, auf denen die großen Mammutherden gegrast haben.“ Sychewa, S. A. (1999:62).

 

Anmerkung: „periglazial“ = dicht bei Gletschern, nahe an der Inlandeisdecke. "Schwarzerde" aus dem Russischen, tschernija semlja „Schwarzerde“.

 

S. A. Sychewa (1999:63), Tabelle 1, hat den Boden der Schwarzerde (tschernosem) der Wiesensteppe auf der Russischen Tiefebene im Mikulino Interglazial und im Valdai Interstadial gefunden (Bryanskaja, Alekskandrowskaja, Stretskaja und Kukuewskaja).

 

 

Wiesensteppe heute

 

Wo finden wir diesen schwarzen Erdboden mit seiner Wiesensteppe heute? In was für einem Klimas bildet sich diese Schwarzerde und wächst diese Wiesensteppe heute?

 

Nord-Südreihenfolge von Landschaftsformen in der ehemaligen UdSSR, westlich der Uralberge (nach Bolin et al., 1979; Walter, H., 1968). Wiesensteppe (Wiese mit hohem Gras, südlich der Waldsteppe und nördlich der trockenen Steppe).

 

Waldsteppe und Wiesensteppe wächst in Russland auf Schwarzerde (tschernosem). Der Boden ist verkalkt. Unter der Waldsteppe enthält der Boden 51 kg/m² organische Materie, unter der Wiesensteppe 70 kg/m² und unter der Steppe 40 kg/m² organische Materie.

 

Nettoprimärproduktion: Die Steppe, südlich der Waldsteppe, erzeugt 1,1 kg oberirdische Trockenmasse je Quadratmeter im Jahr.

 

Die Waldsteppe wächst dort bei einer mittleren jährlichen Temperatur von 2°C und die Steppe weiter südwärts bei +5°C.

 

Die Waldsteppe hat 60 kcal/cm² Solarstrahlung im Jahr und die Steppe 65 kcal/cm².

 

Die Waldsteppe hat eine Vegetationsperiode (in der die Pflanzen wachsen können) von bis zu 170 Tagen im Jahr und die Steppe bis zu 190 Tagen.

 

Die Waldsteppe hat 600 mm Verdunstung im Jahr und die Steppe 850 mm.

 

Die Waldsteppe wächst in Russland, westlich vom Ural, bei einem Niederschlag von 420 mm im Jahr und in der zonalen Steppe, weiter südlich, bei 330 mm. Nach: Bolin et al., 1979; Walter, H., 1968).

 

 

Landschaften in der ehemaligen UdSSR, von der Tundra bis zur Steppe,

von Norden nach Süden

 

 

Tundra

Waldsteppe

Steppe

Niederschlag mm/Jahr

290

420

330

Evaporation mm/Jahr

250

600

850

Wirkliche Evapotranspiration mm/Jahr

70-120

 

240-550

Potentielle Evapotranspiration mm/Jahr

50-200

 

600-1000

Potentielle Vegetationszeit Tage/Jahr

90

170

190

Sonnenstrahlung kcal/cm² Jahr

30

60

65

Mittlere Jahrestemperatur °C

-9

+2

+5

Temperatursumme mit Tagen über 10°C

<300

2100-2150

2200-2350

Pflanzenproduktion, Trockengewicht kg m² Jahr

0.1

 

1.1

Organische Materie im Boden kg/m²

12

51         70

40

Bodenart

Tundraböden

Tschernozems

Tschernozems

 

Nach Bolin et al. 1979; Walter, H. 1986, 1974; Borisow 1965.

 

 

 

Schwarzerde und Wiesensteppe

 

Wo entsteht heute diese schwarze Erde? Und in was für einem Klima entsteht diese schwarze Erde heute unter den fruchtbaren Wiesensteppen?

 

Wir erfahren darüber mehr in dem Werk Natural Grasslands, Ecosystems of the World 8A. Robert T. Coupland, Redakteur (1992). Donald F. Acton, Agriculture Canada Land Resource Research Centre, University of Saskatoon, Kanada, berichtet:

 

Schwarzerden. Schwarzerden (vom russischen 'tschernji' (schwarz) und 'semlja' (Erde) haben eine schwarze oder fast schwarze Oberfläche oder einen A-Horizont. Man findet sie in zwei Hauptzonen, die erste ist ein halbkreisförmiger Streifen im Nordteil der Großen Prärie im Innern Nordamerikas. Der zweite ist ein breiter Streifen in den Steppen der früheren Sowjetunion. Sie bilden sich auch auf Hochebenen und in Bergtälern auf beiden Kontinenten.

 

Schwarzerden (Tschernosems) haben sich in kühlem bis zu den kalten, kontinentalen subhumiden Klimaten gebildet, wo der Winter kalt und trocken ist und der Sommer warm und recht feucht. Die mittlere Jahrestemperatur liegt zwischen etwa 4°C in Nordamerika (0-10°C in der früheren Sowjetunion), mit einer Juli-Lufttemperatur von durchschnittlich 20°C (20-24°C in Europa). Die durchschnittliche frostfreie Jahreszeit liegt zwischen 105 bis 190 Tagen, ist aber normalerweise in den höher liegenden Bergtälern kürzer.

 

In Nordamerika wächst auf diesem Boden die nördliche Langgrasprärie (Wiesensteppe) und die Schwingelgrasprärie. In Eurasien findet man diese Schwarzerde in den nördlichen Steppen von Rumänien an ostwärts, über der Ukraine bis nach Kasachstan und Westsibirien. Sie breitet sich auch nach Norden hin in den offenen Stellen der Waldsteppe aus. Acton D. F. (1997:43).

 

 

Pflanzenproduktion

 

Clair L. Kucera, Division of Biological Sciences, University of Missouri, Columbia, Montana, USA, schreibt über die Pflanzenproduktion in der Wiesensteppe oder Langgras-Land:

 

„Die Schätzungen der Weideproduktion in der Langgrasprärie beruhen normalerweise auf irgendeiner Anwendung der Erntemethode. Die Werte, die aus verschiedenen Gegenden stammen, zeigen uns: Die oberirdische Produktion der pflanzlichen Trockenmasse schwankt zwischen etwa 200 g/m² bis zu weit über 1000 g/m². Das entspricht einer Energie (bei 16,7 kJ g pflanzlicher Trockenmasse) von 837 kJoule bis 4187 kJoule/m². Die Prärien in den östlichen Teilen Nordamerikas haben einen höheren Ertrag, als das Langgras-Land (die Wiesensteppe) weiter im Westen. Im Westen erzeugt das Land weniger Gras, weil es dort weniger regnet und weil der Evapotranspirationsdruck nach Westen hin immer höher wird.

 

„Für die Produktion der Futtermasse ist auch wichtig, wie lang die Zeit ist, in der die Pflanzen im Jahr wachsen können. Und das hängt auch damit zusammen, wie feucht es dort ist. Von Nordiowa südwärts bis nach Südwest Missouri (650 km) erzeugten die Langgras-Wiesen 390 g/m² im Norden bis zu 550 g/m² im Süden. Die mittlere Zahl der frostfreien Tage reichte von 127 im Norden bis 188 im Süden. An einem Tag wuchs überall gleich viel Gras (etwa 3 g/m²). Wenn man feststellen möchte, wie viel Futter in einem bestimmten Gebiet im Jahr wächst, sollte man bedenken, dass die Zeit, in der die Pflanzen dort wachsen können, wichtiger ist als die Höhe der Photosynthese. Weiter im Norden (mittlerer Teil von Minnesota), betrug die jährliche Produktion der Wiesensteppe etwa 200 g/m².“ C.L. Kucera (1997:242).

 

 

Gekaute Pflanzen im Magen des  Beresowka Mammuts

 

Das gekaute Futter vom Magen des Beresowka Mammuts habe ich zum ersten Mal in der Mitte der siebziger Jahre im berühmten Senckenberg Museum in Frankfurt am Main gesehen. Damals fing ich gerade damit an, mich näher mit der Mammutfauna zu befassen. Die Überreste dieser Pflanzen, versiegelt in Glasbehältern, stammen vom deutsch/russischen Paläontologen E. W. Pfizenmayer aus St. Petersburg. Er hat das Beresowka Mammut im Jahr 1901 in Nordostsibirien ausgegraben. Ich habe von diesen Futterresten und Fleischstücken auch Fotos (Dias) gemacht.

 

Mir fiel dabei auf: Die Stiele der Gräser, die das Mammut in kleine Stücke gekaut hat, kurz, bevor es plötzlich in einer Katastrophe starb. Es starb so schnell, dass es nicht einmal mehr den letzten Bissen herunter schlucken konnte, den es kaute. Diese Grasstiele sind ziemlich groß und dick. Sie erinnerten mich an das gehäckselte Haferstroh (den Häcksel) mit dem man in Deutschland die Pferde füttert. Das bedeutet: Die Gräser und Seggen (Sauergräser), die das Mammut dort graste, waren ebenso groß und dick, wie das Haferstroh und der Weizen auf den deutschen Feldern.

 

Die Gräser und Seggen, die das Beresowka Mammut fraß, waren keine kurzen, kleinen und dünnen Gräser und Seggen der arktischen Tundra oder Tundrasteppe. Auch auf der trockenen Steppe oder Halbwüste, mit ihren kleinen Pflanzen, können sie nicht gewachsen sein. Diese großen Getreidepflanzen können nur in einer saftigen Wiesensteppe oder Waldsteppe gewachsen sein. Und die Wiesensteppe und Waldsteppe kann nicht in einem arktischen Klima wachsen, nur in einem gemäßigten Klima, mit langem, warmem Sommer und recht hohem Niederschlag im Sommer.

 

 

Tierkörpergewicht und Pflanzenmasse in Afrika

 

Huftiere

Körpergewicht (kg)

Mittlere pflanzliche Trockenmasse, von der es lebt (g/m²)*

Afrikanischer Elefant Loxodonta africana (Blumenbach)

2575

525

Afrikanischer Büffel Syncerus caffer (Sparman)

450

120

Zebra Equus burchelli (Gray)

200

79

 

Nach David Western, "Die Ökologie der früheren und heutigen Säugetiergemeinschaften miteinander verbunden" in Fossils in the Making  in Anna K. Behrensmeyer und Andrew P. Hill (Herausgeber), die Universität der Chicago Press, Chicago, London. (1980:51), Tabelle 3,4.

 

Verhältnis des Körpergewichts des Tieres zur durchschnittlichen Vegetationsmasse, von der es lebt. Daten vom Ökosystem Amboseli (Western, D. 1973). * Dies ist die oberirdische pflanzliche Trockenmasse, von der das Tier lebt, wie Gräser, Seggen, Zweigspitzen, Blätter, und so weiter. Das heißt, die jährliche oberirdische Pflanzenproduktion und die Vegetation, die noch vom Jahr oder den Jahren davor vorhanden ist, die es noch verzehren kann. Darin ist nicht das Holz der Bäume und Sträucher enthalten, und auch nicht das „tote Gras“, das zu wenig Eiweiß und zu viele Fasern enthält.