Der Tiger der Mammut-Fauna

 

Der Tiger während der Zeit des Wollhaarmammuts in Fernem Osten Russlands: Wie weit im Norden hat diese große Katze damals gelebt? In was für einem Klima, auf was für einer Pflanzendecke? Wie weit im Norden lebt der Tiger jetzt: in was für einem Klima und auf was für einer Pflanzendecke? Wie viel muss der Tiger fressen? Wie viel Beutebiomasse benötigt diese Katze, wenn sie nicht sesshaft ist und wenn sie sesshaft ist und Junge aufzieht?

 

Auch der heute lebende Tiger hilft uns, herauszufinden, warum der Höhlenlöwe und das Wollhaarmammut im Hohen Norden leben konnten. Er hilft uns, heraus zu finden, in was für einem Klima der Tiger während des Pleistozäns in Fernem Osten Russlands gelebt hat. Wie weit im Norden hat der Tiger während der Zeit des Wollhaarmammuts und des Fellnashorns gelebt? Hat er auch in den nördlichsten Teilen Sibiriens und Alaskas gelebt? Wenn ja: in was für einem Klima? War er einem arktischen Klima angepasst? Wie viel muss der Tiger fressen, um sein Körpergewicht zu halten und zu wachsen? Wie viel Beute muss mindestens vorhanden sein, wo der Tiger sesshaft lebt und seine Jungen aufzieht? Und in was für einem Klima ist diese Biomasse an großen Huftieren dort gewachsen? Könnte sie auch in einem arktischen Klima überleben?

 

Der deutsche Paläontologe Ralf-Dietrich Kahlke schreibt über den Tiger des oberen Pleistozäns in seinem Buch, Die Entstehungs -, Entwicklungs- und Verbreitungsgeschichte des  oberpleistozänen  Mammuthus-Coelodonta-Faunenkomplexes in Eurasien (Grosssäuger) (1994):

 

"Während des oberen Pleistozäns war der nördliche Bestand des P tigris von NE-China bis zum Salawu Gebiet verbreitet. ... Seine Überreste hat man auch im südlichen Primorskiy Krai der russischen Föderation und in N- und S-Korea gefunden. ....Herrington (1987:55) hält es für möglich, dass der Tiger während des oberen Pleistozäns sogar im östlichen Beringien (= Alaska, Yukon Gebiet) verbreitet gewesen ist (1987:55). Allgemein kann man sagen, dass eine verhältnismäßig große Nordform des Tigers (P. tigris  ssp.) als Teil der Fernöstlichen Fauna, in Biotopen gelebt hat, die mehr oder weniger mit Wäldern gedeckt waren, als Teil des oberpleistozänen Komplexes der Mammuthus-Coelodonta Fauna." (1994:24).

 

"Die nördlichste Tigerpopulation des oberen Pleistozäns, die man bis jetzt kennt, hat hauptsächlich in taigaähnlichen Mischwald-Biotopen gelebt, von NE-China und im Primorski Krai, und in den Gebirgsketten von Heilong-jang. Weiter nordwestlich begannen die offeneren Löwen-Biotope. Für den nördlichen Festlandtiger muss man annehmen, dass er mindestens während des letzten Glazials eine gewisse Kälte vertragen hat. Die größte Höhe der Schneedecke betrug damals – wie heute – etwa 0.3 m. Höhere Schneedecken beeinflussen die Dichte der Beutetiere. Deshalb meidet auch der Tiger diese Gebiete." Kahlke, R.R. (1994:76).

 

 

Tiger in Nordsibirien, Alaska und dem Yukon Gebiet

 

Sandra J. Herrington, Museum für Naturkunde, Universität von Kansas, Overland Park, Kansas schreibt unter der Überschrift, "Unterart und die Erhaltung von Panther tigris. Genetische Vielfalt erhalten", in Ronald L. Tilson und Ulysses S. Seal (eds.) Tigers of the World 1987 Park Ridge, New Jersey, USA:

 

„Die Fossilien, die man definitiv P. tigris zuordnen kann, stammen aus dem unteren bis oberen Pleistozän. Diese stammen aus Mittel Asien (Brandt 1871, Tscherski 1892), Ost- und Nordchina (Hooijer 1947, Loukashkin 1938), Nord China (Tscherski 1892), Sumatra (Brongersma 1937) und Java (Brongersma 1935) und Japan (Hemmer pers. Mitteilung). Sehr spätpleistozäne bis früh holozäne Fossilen stammen aus dem Kaukasus (Vereschchagin 1959) und Indien (Lydekker 1886). Die Fossilien aus Nordsibirien sind bis zu 70° Nord hoch verbreitet. Diese Art konnte man nicht so genau bestimmen und hat sie zu den Höhlenlöwen gestellt (P. spelaea). Heptner und Sludskii 1972).

 

„Die Möglichkeit, dass der Tiger so weit im Norden gelebt hat, als der Beringsche Subkontinent mit dem nordöstlichen Asien und nordwestlichen Nordamerika verbunden war, wirft die Fragen auf, warum Tiger nicht die Beringlandbrücke überquert haben, als das so viele andere Säugetiere taten. Tiger scheinen offenes Gelände zu meiden (Seidensticker 1976), und die Beringlandbrücke scheint hauptsächlich mit Steppetundra bewachsen gewesen zu sein (Bild 2). Es gibt aber Beweise dafür, dass in Beringien verschiedene Arten von Lebensräumen vorhanden waren, auch bewaldetes Gebiet (Hopkins 1982).

 

„Es gab große Panthera in Nordamerika während des Pleistozäns (Bild 3) und diese hat man zu den fossilen Löwen gestellt (P. atrox, den einige jetzt als Unterart von P. leo betrachten oder als eine Unterart des Höhlenlöwen, z.B. Kurten 1985). Es ist aber nicht immer leicht, den heutigen Löwen und Tiger voneinander zu unterscheiden, wenn man dabei nur auf das Skelett angewiesen ist.. Deshalb war es möglich, dass unter den nordamerikanischen eiszeitlichen Panthera früher auch Tiger waren (z.B. Merriam und Vorrat 1932). Diese Fossilien hat man mit Löwen und Tigern verglichen, um herauszufinden, um welche Tiere es sich dabei handelt. Aber die Möglichkeit, dass man dabei zwangsläufig Löwen und Tiger als P. atrox betrachtete, scheint man nicht bedacht zu haben.“

 

Sandra J. Herrington „In einer vor kurzem abgeschlossenen Studie dieser Fossilien habe ich einen Satz morphometrischer Merkmale entwickelt, durch die man mit 100%-Genauigkeit Löwen und Tiger in diskriminierenden Funktionsanalysen unterscheiden kann. Außerdem gab es einige qualitative morphologische Merkmale, durch die man P. leo und P. tigris mit hoher Genauigkeit unterscheiden kann. Dann habe ich heutige Löwen und Tiger mit dem fossilen nordamerikanischen Material verglichen. Alles fossile Material aus den Vereinigten Staaten (südlich von Kanada), südlich der kontinentalen Eisdecke während der Wisconsinvereisung, besteht aus Löwen.

 

„Aber das Material aus Beringien (= Ostsibirien, Alaska, Yukon Gebiet) stammt von Löwen und Tigern. Es scheint, dass die Löwen das östliche Beringien während der Illinoischen Vereisung (= von Ostsibirien aus) besiedelt haben. Und im Sangamonischen Interglazial sind sie dann nach Süden in die Vereinigten Staaten gewandert. Eine andere Population von Löwen ist während der Wisconsinvereisung (= von Ostsibirien aus) in das östliche Beringien eingedrungen, in einer anderen Ausbreitungswelle. Diese Resultate deuten darauf hin, dass man auch andere große fossiles Panthera nicht richtig identifiziert hat. Wenn man noch mehr Funde untersucht, kann das Gebiet, in dem fossile Tiger gelebt haben, noch größer werden.“ Herrington, S. J. (1987:53-55)

 

„Im Gegensatz zu den fossilen Löwen waren die fossilen Tiger Beringiens nicht größer als die heutigen Tiger. Fossile Tiger aus Südchina aus der Sammlung des Amerikanischen Museums für Naturkunde (Hooijer 1947) scheinen größer zu sein als moderne P. tigris, aber nur ein wenig.“ Herrington, S. J. 1987:56). 

 

 

Aus S. J. Herrington (1987). In Roland L. Tilson and Ulysses S. Seal (eds.) Tigers of the World (1987:54) Bild 2, Park Ridge, New Jersey, U.S.A. Südlich der nordamerikanischen Inland-Eisdecke hat man bisher nur die Reste des Löwen ((Panthera atrox) gefunden, keine Reste des Tigers. Nordöstlich dieser kontinentalen Inland-Eisdecke, im Yukon Territorium, Alaska. Nordost-Sibirien und Mittel-Sibirien haben zwei große Katzen gelebt: der Löwe und der Tiger. Diese großen Katzen konnten dort oben nur leben, als das Klima mild, gemäßigt war, ohne arktischen Winter.