Kapitel 5: Chitawan Nationalpark, Nepal

 

Der amerikanische Wildtierbiologe Melvin E. Sunquist, Smithsonian Institution, Washington, DC, hat den Tiger im Königlichen Nationalpark Chitawan, in Nepal erforscht. Dieser Park liegt im Rapti Tal im Bezirk Chitawan, nahe 27°30'N und 84°20'E. Nördlich von diesem Tal liegt das Mahabharat Lekh (äußeres Himalaja Gebirge). Der Park umfasst 544 km² (200 mi²). Er berichtet über seine Entdeckungen in, "The Social Organization of Tigers (Panthera tigris) in Royal Chitwawn National Park, Nepal“,  Smithsonian Institution Press, City of Washington 1981:

 

„Die geschätzte Dichte der erwachsenen Tiger in den ursprünglichen Grenzen des Parks (544 km²) beträgt einer je 6 km², im erweiterten Bereich (932 km²), einer je 30 km². Aber in den besten Lebensräumen, am Fluss, wo abwechselnd Wald und Wiesen wachsen, leben viel mehr Tiger. Ein 62 km² großes Gebiet im Südosten, z. B. hat vier Tiger oder einen je 15,6 km². Ein anderes Gebiet (91 km²) am westlichen Ende hatte einen erwachsenen Tiger je 22,7 km². Ein neuer Bericht von J.L.D. Smith (1978) zeigt, dass in einem 245 km² großen Gebiet des Hauptlebensraums mindestens 18 Tiger, über zwei Jahre alt, leben, oder ein Tiger je 13,6 km². Erste Untersuchungen in Gebieten (z. B. im Sal-Wald), ohne abwechselnde Pflanzendecke (Wald und Wiesen gemischt) zeigen, dass dort nur etwa ein Drittel so viele Tiger leben, wie in den Hauptlebensräumen.“ Sundquist, M.E. (1981:199).

 

„Die Tiger in Chitawan haben viele Junge. Denn zu irgend einer Zeit im Jahr haben die sesshaften Tigerinnen entweder Junge oder sind trächtig. Von den acht sesshaften Tigerinnen, einzeln im Jahr 1976 erkannt, hatten sechs von ihnen insgesamt 14 Junge. J.L.D. Smith (1978), berichtet, dass von acht sesshaften Tigerinnen im April 1978, sieben von ihnen insgesamt 20 Junge hatten, und die andere war wahrscheinlich trächtig. Die hohe Produktivität des Tigers in Chitawan erklärt den Überschuss an jungen Tigern. Es wachsen dort mehr Junge heran, als Wohngebiete frei werden (indem alte sesshafte Tiger wegsterben). Wenn eine Stelle frei wird, wird sie schnell wieder besetzt. Das deutet darauf hin, dass sie sich auch weiterhin stark vermehren werden.“ (1981:20).

 

„Darüber, wie viele und warum junge Tiger sterben, wissen wir noch wenig. Es ist aber vernünftig anzunehmen, dass in den ersten beiden Lebensjahren mindestens 50% der Jungen sterben werden. Als Vergleich: Schaller (1972) berichtet, dass in zwei Löwenrudeln in der Serengeti mindestens 67% der Jungtiere im ersten Lebensjahr sterben.“ (1981:23, 24).

 

„Am Tag kann sich das große Raubtier nur dicht genug an seine Beute heran pirschen, wenn passende Deckung vorhanden ist. Der Löwe braucht dafür Unebenheiten im Gelände und/oder Vegetation von mindestens 41 Zentimetern Höhe (Elliot et al. 1977). Eine ähnliche Kombination von Vegetation/Gelände mag auch für den Tiger notwendig sein. Man hat beobachtet, wie sich ein Tiger an vier Tschital-Hirsche heran gepirscht hat, und zwar am Vormittag auf einer offenen Wiese, wo das Gras nur 30 cm hoch war, doch erfolglos.“ (1981:3).

 

„Je älter die Jungtiere werden, um sie größer wird auch allmählich deren Heimatgebiet. Aber solange die Jungen noch klein sind, kann deren Mutter längere Zeit hindurch nicht weit umher wandern, um nach Beutetieren zu suchen. Im Überflutungsgebiet von Chitawan haben die männlichen und weiblichen Tiger ihr eigenes Heimatgebiet. Das größere Heimatgebiet des Männchens (60-100 km²) überschneidet sich mit den kleineren Heimatgebieten seiner drei bis sechs Weibchen (16-20 km²).

 

„Ein recht kleines, eigenes Heimatgebiet in Chitawan kann der Tiger dort nur behaupten (aufrecht erhalten), weil in diesem Überschwemmungsgebiet in allen Jahreszeiten genug Huftiere vorhanden sind, mehr oder weniger gleichmäßig verteilt. Mit Hilfe von Funkbahn-Verfolgung (radio tracking) hat man festgestellt: Sambar, Tschital und Schweinshirsch, von denen der Tiger dort hautsächlich lebt, bewegen sich das ganze Jahr über nur in einem sehr kleinen Umkreis (0,5-10 km²), weil sie dort anscheinend das ganze Jahr über genug zum Leben finden. Außerdem ist dort die Beutetierdichte und Biomasse hoch, wie man dass von Überschwemmungsgebieten kennt. Im Überschwemmungsgebiet von Chitawan: Das Heimatgebiet des Weibchens umfasst dort 16-20 km², das des Männchens 60-100 km².“ Sunquist, M. E. (1981:50-53).

 

„Einen längeren sozialen Kontakt gibt es beim Tiger nur zwischen der Tigerin und ihren Jungen, wenn sie noch klein sind. Die Jungen bleiben bei ihrer Mutter, bis sie 12-20 Monate alt sind. In ihrem zweiten Lebensjahr verbringen die Jungen nach und nach immer mehr Zeit ohne ihre Mutter. Das männliche Junge wandert gewöhnlich früher weiter alleine umher. Die Jungen verlassen ihre Mutter, wenn sie sich ihr Futter selbst erbeuten können. ... Körpergewichte von Tigern in Chitawan, Nepal: Erwachsene Weibchen: 143 kg, 153 kg, 159 kg, 130 kg, 143 kg. Erwachse Männchen über 127 kg.

 

„Die meisten Beutetiere, die der Tiger dort tötet, wogen ungefähr 50-100 kg. Aber er tötet dort auch regelmäßig größere erwachsene Sambar-Hirsche und Haus-Wasserbüffel l60-400 kg). Als Vergleich: Die meisten Tiere, die der Leopard tötet, wiegen etwa 25-50 kg. ... 30% des Gewichtes der großen Beutetiere besteht aus dem Darminhalt.“ Sunquist, M.E. (1981:62, 69, 75, 76).

 

Mel E. Sunquist und Fiona C. Sunquist berichten unter der Überschrift „Ökologische Begrenzungen beim Beutefang durch große Katzen“, in Carnivore Behavior, Ecology, and Evolution, John L. Gittleman (ed.) 1989:

 

„Wie die Beutetiere in Raum und Zeit verteilt sind, ist für die weibliche Katze, die Junge aufzieht, sehr wichtig. Denn zuerst muss sie dicht bei ihrer Höhle bleiben, und kann deshalb dann nur in einem kleinen Umkreis jagen. Leoparden, Tiger, Gebirgslöwen und Ozelote (Felis pardalis), die man im Feld beobachtet hat, haben nur ein ganz kleines „Wochenbett“-Revier, gleich nachdem sie ihre Jungen geboren haben. Unter diesen Bedingungen müssen diese Weibchen dann die Beutetiere zuerst finden und töten und sie verzehren. Dann müssen sie innerhalb von jeweils 24-36 Stunden (Seidensticker et al. 1973; Seidensticker 1977; M. Sunquist, pers. Beobachtung) zu ihrer Höhle zurück kehren. Deshalb ist die Art und Weise, wo sich diese Huftiere befinden und wie leicht sie sich fangen lassen (Bertram 1973) für die Katzenmütter in den ersten beiden Monaten, in denen ihre Kinder noch auf sie angewiesen sind und sich kaum selbst bewegen können, lebenswichtig. Die Jungen der großen Katzen sind ein bis zwei Jahre lang darauf angewiesen, dass ihre Mutter sie ernährt.“ (1989:286)

 

„Ob sich die Katze dicht genug an ihre Beute heran schleichen kann, damit sie diese überwältigen kann, hängt davon ab, ob ein passendes Gelände oder eine passende Pflanzendecke vorhanden ist, in der sie sich verstecken und sich an ihre Beute heranpirschen kann. Elliott et al. (1977) geht davon aus, dass der Löwe tagsüber nur erfolgreich jagen kann, wenn die Grasdecke 0.4 m hoch ist. Van Orsdol (1984) berichtet: der Löwe jagt um so erfolgreicher, je höher das Gras ist, und zwar bis zu 0,8 m hoch. Und Schaller (1972) fand heraus, dass der Löwe in Gras, das 0,3-0,6 m hoch war, doppelt so erfolgreich war, als wenn er in Gras jagte, das weniger als  0,3 m hoch war.“ (1989:290)

 

 

Ein Königstiger bewegt sich in einem gemächlichen Trott, doch der wird sich in einen “fliegenden Galopp” verwandeln, wenn er ein fliehendes Beutetier verflogt.  Aus: Grzimeks Enzyklopädie (1987:10).

 

 

Wie viel Beutebiomasse?

 

Wie schwer ist der Tiger im Nationalpark Chitawan, in Nepal, an den Ausläufern des Himalaja Gebirges? Wie viel muss diese große Katze fressen? Wie groß ist dort das Heimatgebiet der sesshaften Tigerin, die Junge aufzieht? Und wie viel Huftierbiomasse muss ihr Heimatgebiet mindestens enthalten?

 

Das Chitawan Tal ist dicht mit Tigern bevölkert. Deshalb hat dort jede sesshafte Tigerin nur so viel Beutebiomasse, wie sie für sich und ihre Jungen benötigt. Ein sesshafter männlicher Tiger beherrscht dort die Heimatgebiete mehrere Weibchen. Der Wildtierzoologe Melvin E. Sunquist hat dort folgendes herausgefunden: 

 

Die Tigerin ohne Junge, muss 5-6 kg Fleisch/Tag, übers Jahr berechnet, fressen. Dazu müssen wir noch 30% Abfall hinzu rechnen. Der männliche Tiger benötigt 6-7 kg Fleisch/Tag. Der Tiger in Chitawan tötet 8-10% der wilden Huftierbiomasse oder durchschnittlich 9%. Die erwachsene Tigerin muss 2600 bis 3300 kg/Jahr Beutebiomasse im Jahr töten oder durchschnittlich 2950 kg/Jahr. Der männliche erwachsene Tiger muss 3100 bis 3700 kg/Jahr Beutebiomasse töten oder durchschnittlich 3400 kg/Jahr (Nassgewicht).

 

4 kleine Tigerjunge in ihrem ersten Lebensjahr brauchen ebenso viel Nahrung wir eine erwachsene Tigerin. Jedes kleine Jungtier in seinem ersten Lebensjahr benötigt ¼ so viel Beutebiomasse wie eine erwachsene Tigerin. Die erwachsene Tigerin muss dann 2950 kg/Jahr Beute töten. Ein Junges in seinem ersten Lebensjahr (oder 6 Monate alt) braucht 738 kg/Jahr lebende Beute. Zwei kleine Tigerjunge in ihrem ersten Lebensjahr brauchen 1475 kg/Jahr lebende Beute; 3 kleine Junge in ihrem ersten Lebensjahr benötigen 2214 kg/Jahr, und 4 kleine Junge 2950 kg/Jahr.

 

Das Heimatgebiet des erwachsenen männlichen Tigers im Nationalpark Chitawan, Nepal: umfasst 60-72 km². Das des Weibchens mit kleinen Jungen, oder wenn trächtig, 16-20 km² oder durchschnittlich 18 km². Sunquist, M. M. (1981). Der durchschnittliche männliche Tiger im Chitawan Tal wiegt ungefähr 227 Kilogramm. Die erwachsene Tigerin 148 kg. Das Tigerkind, 6 Monate alt, 23 kg.

 

Der amerikanische Wildtierbiologe John Seidensticker (1976) fand heraus, als er den Tiger im Chitawan Tal erforschte: Die Tigerin, die Junge aufzieht, hat dort ihr Heimatgebiet gewöhnlich im Überschwemmungsgebiet, nahe am Fluss. Das Überschwemmungsgebiet hat eine Beutebiomasse von etwa 2798 kg/km² (ohne das Nashorn). Das durchschnittliche Heimatgebiet der sesshaften Tigerin in Chitawan ist ungefähr 18 km² groß.

 

 

Die Tigerin trägt ihr Kleines behutsam in ihrem Maul. Aus: Ronald L. Tilson et al. (eds.), Tigers of the World (1987:395).

 

 

Tigerin mit 2 Jungen, im ersten Lebensjahr

 

Wie viel Huftierbiomasse braucht die sesshafte Tigerin im Chitawan Tal in ihrem 18 km² großen Heimatgebiet, wenn sie 2 Junge in ihrem ersten Lebensjahr aufzieht? Das heißt, wenn sie ungefähr 6 Monate alt sind? Wie viel benötigt dann die ganze Tigerfamilie, das heißt, der herrschende männliche Tiger und die Tigerin mit ihren beiden Jungen?

 

Sesshafter männlicher Tiger, 227 kg Körpergewicht (BW). Er benötigt 6,5 kg Fleisch/Tag: 2,863% BW/Tag (= 2,863% seines Körpergewichtes am Tag). Er muss dann 4,091% BW/Tag Huftierbiomasse töten (mit 30% Abfall): 9,286 kg/Tag und 3400 kg/Jahr. Er holt sich in diesem Model ein Drittel seiner Nahrung aus dem Heimatgebiet dieses Weibchens: 1133 kg/Jahr (Nassgewicht).

 

Sesshafte Tigerin, 148 Kilogramm BW, nicht reproduzierend. Sie benötigt 5,5 kg Fleisch/Tag, 3,716% BW/Tag. Sie muss dann 5,308% BW/Tag Huftierbeute töten: 7,856 kg/Tag und 2950 kg/Jahr.

 

Zwei Junge in ihrem ersten Lebensjahr (6 Monate alt). Ein Junges in seinem ersten Lebensjahr braucht 738 kg/Jahr und 2 Junge 1475 kg/Jahr lebende Huftiere.

 

Die ganze Tigerfamilie im Chitawan Tal muss auf ihrem 18 km² großen Heimatgebiet dann 5558 kg Huftierbiomasse im Jahr töten. Das ist 9% des gesamten Huftierbestandes: 61.756 kg/18 km² oder 3431 kg/km². Dies bedeutet: Der sesshafte Tiger, der 2 Junge in deren erstem Lebensjahr aufzieht, benötigt eine Beutebiomasse an großen Huftieren (bis zum Wasserbüffel) von mindestens 3431 kg/km².

 

Wenn die Tigerfamilie 3 Junge in ihrem ersten Lebensjahr aufzieht, benötigt sie eine Beutebiomasse an Huftieren von mindestens 3887 kg/km². In einem arktischen Klima geht das nicht. Dort gibt es zu wenig Nahrung.